Das Placebo-Dilemma der modernen Medizin – zwei Beispiele

Das Placebo-Dilemma der modernen Medizin – zwei Beispiele

Im Vergleich zu den Ärzten noch vor 100 Jahren, die im Grunde wandelnde Placebos mit leeren Taschen waren, hat der heutige Arzt eine recht wirkungsvolle Medizin parat. Und trotzdem hat er es in seinem 5-Minuten-Gespräch mit einem mit Internet-Ausdrucken bewaffneten Patienten vergleichsweise schwer – und das ironischerweise gerade dann, wenn er dem heutigen Ideal der Patienten-Autonomie, dem Recht auf Aufklärung und dem Wunsch nach einer verständlichen Sprache Rechnung tragen will. Nehmen wir ein fiktives Gespräch als Beispiel:

„Dies ist ein sehr wirksames Medikament, mit dem ich beste Erfahrungen habe. Nehmen Sie in den nächsten drei Tagen morgens 1 ½ Tabletten; dann gehen wir auf eine Tablette zurück. Wenn wir konsequent bleiben, wird es Ihnen bald besser gehen.“ Blick in die Augen, fester Händedruck.

Das war einmal. Heute klingt es – weitaus korrekter – eher so: „Wahrscheinlich werde ich wenig für Sie tun können [realistischen Erwartungshorizont fördern], aber wenn Sie wollen [Patientenautonomie respektieren] und Ihre Kasse mitmacht, halte ich eine Medikation für angezeigt. Dabei können als Nebenwirkungen auftreten: Kopfweh in 30 %, Blutarmut in 10 %, bedrohliche Blutungen in etwa 1 % [Patientenaufklärung]. Ich selbst habe diese Erkrankung, weil sie so selten ist, erst zweimal behandelt [Ehrlichkeit], und werde mich deshalb noch mit einem Kollegen abstimmen [Teamwork]. Melden Sie sich in jedem Fall sofort, wenn Sie eine Blutung bemerken.“

Dass diese Art der Patientenkommunikation ein Maximum an Wirksamkeit erzeugt, wird wohl niemand behaupten. Und doch ist die hier übertrieben skizzierte Entzauberung der Medizin zumindest für die Schulmedizin kaum mehr rückgängig zu machen.

Dazu ein Beispiel aus der kinderärztlichen Praxis. Husten hat bei Eltern einen schlechten Ruf. Zu Recht: Kinder husten vor allem nachts, wenn das tagsüber durch die Nase ablaufende Sekret Tropfen für Tropfen in den Rachen läuft und den Hustenreflex auslöst. Zwar sorgt der Husten – Gott sei Dank – dafür, dass das infektiöse Material nicht in die tieferen Bronchien gelangt. Für die Eltern aber sind diese Nächte eine Qual, die sie garantiert am nächsten Tag mit dem Kind zum Kinderarzt treibt.

Und der steht vor einem Dilemma. Die Wissenschaft zeigt, dass Hustensäfte bei sekretbedingtem Husten unwirksam sind. Die Kinder husten mit Sirup genauso viel wie ohne. Andererseits zeigen Studien auch: Wenn Kinder Hustensaft bekommen, berichten Eltern durchgängig, dass ihr Kind weniger hustet.

Was sollen die Ärzte in beiden Fällen also tun?

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zuletzt geändert am um 15:35 Uhr