Wer chronischem Juckreiz den Kampf ansagt, sollte zunächst nach der Ursache suchen – und die ist nicht immer in der Haut zu finden. Auch internistische oder neurologische Erkrankungen können hinter quälendem Jucken stecken. Behandelt wird in Stufen: Zunächst mit allgemeinen Maßnahmen, dann mit juckreizhemmenden Cremes und Lotionen und zuletzt mit Medikamenten.
Akuter oder chronischer Juckreiz
Jucken ist ein natürlicher Vorgang, der manchmal durchaus einen Sinn hat: Er warnt zum Beispiel, wenn es zu Kontakt mit Insektengift gekommen ist. Das durch den Juckreiz ausgelöste instinktive Kratzen hilft dann, die hautschädigende Substanz zu entfernen. In anderen Fällen ist Juckreiz eher eine lästige Begleiterscheinung der körperlichen Abwehrprozesse, etwa bei Windpocken oder anderen Infektionen. Klingt die Infektion ab, verschwindet der Juckzreiz in der Regel wieder.
Anders ist das bei chronischem Juckreiz (chronischem Pruritus). Davon spricht man, wenn der Juckreiz länger als 6 Wochen anhält oder immer wieder kommt. Das ist gar nicht so selten der Fall: Jeder fünfte Erwachsene gibt an, schon einmal darunter gelitten zu haben. Aktuell gehen Expert*innen davon aus, dass 7 von 100 Menschen unter chronischem Juckreiz leiden. Besonders häufig betroffen sind Menschen über 60 Jahre.
Ursachen für das chronische Jucken gibt es sehr viele. Besonders bei Hauterkrankungen ist Juckreiz eins der Hauptsymptome, allen voran bei Neurodermitis und Urtikaria. Chronischer Juckreiz ist aber auch typisch für eine Vielzahl internistischer, neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Beispiele sind
- Lebererkrankungen (dann ist er meist von einer Gelbsucht begleitet)
- Diabetes
- chronische Nierenerkrankungen
- AIDS
- Krebsleiden.
Auch jede fünfte Schwangere leidet unter Juckreiz. Und nicht zuletzt können Medikamente Juckreiz auslösen. Dazu gehören Antidepressiva wie Citalopram oder Doxepin, Blutdruckmittel wie Clonidin und Doxazosin, Entwässerungstabletten wie Furosemid und Thiazide sowie eine große Anzahl weiterer Wirkstoffe.
Hinweis: Relativ häufig lässt sich trotz intensiver Suche keine Grunderkrankung bzw. kein Auslöser finden. Dann spricht man von einem idiopathischen Juckreiz.
Unbedingt zur Ärzt*in!
Chronischer Juckreiz ist eine Qual und lässt sich mit einfachen Selbsthilfemaßnahmen oft nicht lindern. Deswegen erscheinen Betroffene meist schnell in der Arztpraxis. Und das ist auch gut so: Weil ernste Erkrankung hinter chronischem Juckreiz stecken können, sollte er immer abgeklärt werden.
Für die Diagnose hilft eine genaue Beschreibung der Beschwerden. Wann tritt der Juckreiz auf, wodurch wird er ausgelöst, wird er nachts schlimmer, hängt er mit der Einnahme von Medikamenten zusammen? Um der Ärzt*in alle Fragen beantworten zu können, ist ein Beschwerdetagebuch hilfreich. Darin sollte man nicht nur die Auslöser des Juckreizes vermerken, sondern auch die Stärke des Juckens. Dies lässt sich am besten in einer Skala von 0 (gar nicht) bis 10 (unerträglich) beschreiben.
Auch die Art des Juckens und das dadurch ausgelöste Kratzverhalten können Hinweise auf die Ursache geben. Bei einer Urtikaria reiben Patient*innen die Haut häufig. Starkes Kratzen ist eher typisch für ekzematöse Hauterkrankungen. Eine besonders auffällige Form ist das sogenannte Löffeln: Dabei verletzten die Betroffenen die Haut an der juckenden Stelle mit den Fingernägeln. Es kommt zu knötchenartigen Herden mit zahlreichen Narben. Dieses Löffeln findet sich bei älteren, nierenkranken Menschen, aber auch bei Patient*innen mit Neurodermitis.
Ist die Vorgeschichte geklärt, geht es mit einer gründlichen körperlichen Untersuchung weiter. Dabei betrachtet die Ärzt*in die gesamte Haut und tastet Lymphknoten und Leber ab. Je nach Verdachtsdiagnose helfen auch Laboruntersuchungen weiter. Manchmal veranlasst die Ärzt*in zudem Ultraschalluntersuchungen oder Röntgenaufnahmen.
Tipp: Regelmäßige Aufzeichnungen helfen nicht nur bei der Diagnose, sondern auch zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs. Ein Juckreiz- oder Symptomtagebuch ist als App besonders praktisch. Ein Beispiel zum Herunterladen ist die kostenlose ItchyApp.
Stufe 1: Basismaßnahmen plus Antihistaminikum
Ist eine Diagnose gestellt, behandelt die Ärzt*in zunächst einmal die Grunderkrankung. Parallel dazu empfehlen Expert*innen folgende Basismaßnahmen:
- Zur Körperhygiene milde, nicht-alkalische Seifen oder rückfettende Waschsyndets verwenden. Auch Dusch- und Badeöle sind erlaubt, dürfen aber nur einen geringen Anteil an Tensiden erhalten. Nicht zu häufig und zu lange baden, sondern lieber nur kurz mit lauwarmem Wasser duschen.
- Nach dem Waschen die Haut vorsichtig abtupfen und nicht trockenreiben. Das gilt vor allem, wenn eine Hauterkrankung vorliegt. Nach jedem Duschen oder Baden und mindestens ein Mal täglich die Haut mit einer rückfettenden und hydratisierenden Basistherapie pflegen. Dafür verwendete Wirkstoffe sind vor allem Glycerin, Harnstoff (Urea) und Milchsäure. Entsprechende Präparate und eine individuelle Produktberatung gibt es in der Apotheke
- Weiche, luftige Kleidung aus Baumwolle tragen.
- Faktoren meiden, die zur Austrocknung der Haut führen. Dazu gehören z. B. Saunabesuche, Aufenthalt in trockenem, heißen Klima, alkoholische Umschläge oder Eispackungen.
- Mit leichten Baumwollhandschuhen schlafen, um die Folgen unbewussten nächtlichen Kratzens zu mildern.
Reichen die Basismaßnahmen nicht aus, dürfen Antihistaminika der 2. Generation ausprobiert werden. Sie helfen besonders bei der Urtikaria (einer Unterform des chronischen Juckreizes) und beim atopischen Ekzem.
Tipp: Auch kalte, feuchte Umschläge helfen gegen Juckreiz. Aber bitte dafür weder Kamille noch Teebaumöl verwenden! Diese Substanzen reizen die Haut und können daher die Beschwerden noch verstärken.
Stufe 2: Das Übel an der Wurzel packen
Oft lindern die Basismaßnahmen den Juckreiz nicht ausreichend. In der zweiten Behandlungsstufe dann an die Ursache angepasste Therapien hinzu (bei unklarer Ursache wird gleich zur Stufe 3 gesprungen).
- Ist eine Nierenerkankung der Auslöser, helfen Difelikefalin, Gabapentin oder Cromoglycinsäure.
- Gegen leberbedingten Juckreiz verordnen die Ärzt*innen vor allem Colestyramin oder Rifampicin.
- Liegt eine Krebserkrankung zugrunde, kommen z. B. Paroxetin, Aprepitant oder Naltrexon zum Einsatz.
- Nervenbedingter Juckreiz wird durch Capsaicin-Creme oder Gabapentin gemildert.
- Für die schwerste Ausprägung des chronischen Juckreizes, die noduläre Prurigo mit Knötchen und Narben, stehen Zytostatika wie Azathioprin und Methotrexat zur Verfügung.
Hinweis: Auch die Bestrahlung mit UV-Licht (UV-Phototherapie) lindert chronischen Juckreiz. Sie wird in verschiedenen Varianten vor allem bei entzündlichen Hauterkrankungen eingesetzt, hilft aber auch bei einigen internistischen Erkrankungen.
Stufe 3: Juckreiz hemmen
Reicht die ursächlich angepasste Therapie von Stufe 2 nicht aus, wird der Juckreiz lokal auf der Haut oder im zentralen Nervensystem mit Medikamenten gehemmt. In den Fällen, in denen die Ursache unklar ist (idiopathischer chronischer Juckreiz), kann man die Stufe 2 auch überspringen und gleich mit der juckreizhemmenden Therapie beginnen. Zum Auftragen auf die Haut stehen folgende Substanzen zur Verfügung:
- Lokalanästhetika (Betäubungsmittel). Verschiedene Substanzen wirken auf Hautrezeptoren und Nervenfasern und können dadurch Juckreiz und Schmerz betäuben. Sie wirken allerdings nur kurzzeitig. Empfohlen werden Cremes, Salben oder Lotionen mit Menthol und Polidocanol, aber auch mit Lidocain.
- Kortison. Glukokortikoide zum Auftragen wirken antientzündlich und reduzieren dadurch den Juckreiz. Sie können kurzfristig zur Behandlung des Juckreizes bei entzündlichen Hauterkrankungen oder aufgekratzten Läsionen eingesetzt werden. Eine langfristige Anwendung ist zu vermeiden, weil Kortison auf Dauer die Haut verdünnt und so noch empfindlicher macht.
- Capsaicin. Der aus einer Paprikapflanze gewonnene Wirkstoff bindet an einen Hitzekanal von Nervenfasern und Hautzellen und führt zu einem brennenden oder wärmenden Gefühl. Nach einigen Tagen werden dadurch Juckreiz und Schmerzen unterdrückt. Capsaicin gibt es als Creme und Pflaster.
- Calcineurininhibitoren. Tacrolimus und Pimecrolimus sind Arzneistoffe mit einer anti-immunen Wirkung und helfen besonders gut bei neurodermitisch bedingtem Juckreiz. Häufig profitieren von ihnen auch Patient*innen mit anderen Hauterkrankungen wie etwa der Röschenflechte (Rosazea) oder internistisch bedingtem chronischem Juckreiz.
In schweren Fällen wird der chronische Juckreiz von innen (d.h. systemisch), behandelt. Dazu verordnet die Ärzt*in Tabletten, in einigen Fällen wird der Wirkstoff auch intravenös verabreicht. Folgende Substanzen unterbrechen das Juckreizsignal oder verhindern dessen Weitervermittlung:
- Gabapentin und Pregabalin. Diese beiden Substanzen wirken juckreizhemmend, indem sie die Nervenfasern stabilisieren und hemmende Mechanismen verstärken. Zugelassen sind sie zur Behandlung des nervenbedingten Juckreizes. Sie werden von der aktuellen Leitlinie aber auch bei chronischem Juckreiz anderer Ursache empfohlen.
- Antidepressiva. Die Leitlinien empfehlen vor allem den Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin. Eine Alternative sind Mirtazapin und Doxepin.
- Gamma-Opioidrezeptorantagonisten. Naltrexon und Naloxon aktivieren hemmende Nervenzellen im Gehirn. Sie sind nicht nur bei internistisch oder neurologisch bedingtem, sondern auch beim idiopathischen Juckreiz effektiv Naltrexon wird oral verabreicht, Naloxon über die Vene.
Hinweis: Auch Kortisontabletten wirken gegen Juckreiz. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen sollten sie jedoch nur bei schwerstem chronischen Juckreiz und hohem Leidensdruck kurzfristig eingesetzt werden.
Die Psyche juckt mit
Neben der richtigen Pflege und Medikamenten gibt es auch noch grundlegendere Behandlungsansätze bei Juckreiz. Zum Beispiel hat die Psyche einen großen Einfluss auf die Stärke des Juckreizes. So wird das Jucken meisten schlimmer, wenn man aufgeregt oder angespannt ist oder negativen Stress hat. Deshalb profitieren viele Patient*innen von Entspannungstechniken wie dem Autogenen Training oder der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobsen.
Eine wichtige Behandlungssäule beim chronischen Juckreiz ist die außerdem die Patientenedukation. Durch Schulungsprogramme lernen Betroffene Ablenkungsstrategien und Methoden, den Juck-Kratz-Zirkel zu unterbrechen. Dazu gehört beispielsweise, den Kratztrieb umzulenken und statt der Haut lieber ein Kissen oder die Bettdecke zu „bearbeiten“.
Menschen mit dauerhaftem, schwer beeinflussbarem Juckreiz entwickeln aufgrund der eingeschränkten Lebensqualität häufig Depressionen oder Ängste. Manche ziehen sich auch aus dem sozialen Leben zurück, weil der Juckreiz ihren Alltag beherrscht. In diesen Fällen gehört eine Psychotherapie mit zum Behandlungsprogramm.
Quelle: S2k Leitlinie „Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus“, AWMF-Register-Nr.: 013-048, 2021