Unspezifische Wirkungen – wie sie sich erklären lassen

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Unterschiedliche Effekte erklären die Wirkung alternativer Therapien.

Unspezifische Wirkungen sind keine Scheinwirkungen und auch nicht „nur Placebo-Effekte“. Im Gegenteil: Sie stimulieren die Selbstheilungskräfte und können so einen entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen. Dem liegen verschiedene Mechanismen zugrunde:

  • Jede Behandlung greift auch ein Stück weit in das Gefüge unseres Lebens ein: Wir lernen unseren Körper besser kennen, denken über unsere Erkrankung nach, entdecken vielleicht Konflikte, Unstimmigkeiten oder Probleme in unserem Leben und versuchen, diese zu lösen. Diese Zuwendung uns selbst gegenüber kann unsere eigene Position stärken und Eigenkräfte mobilisieren.
  • Behandlung schafft Erwartung: Wir bringen in die Therapie unser Vertrauen ein, und erwarten allein schon deshalb, dass es uns in absehbarer Zeit bessergeht. Wie stark dieser Effekt ist, lässt sich in Studien zeigen: Werden im Krankenhaus Schmerzen behandelt, ohne dass der Patient weiß, für welchen Zweck er die Medizin bekommt, so wirkt das Schmerzmittel schlechter, als wenn der Patient ausdrücklich über die zu erwartenden Wirkungen aufgeklärt ist (dies gilt übrigens in noch stärkerem Maße für Placebos).
  • Viele Verfahren – wie die Homöopathie – bestehen aus weit mehr als nur den eingenommenen Tröpfchen oder Globuli: Dazu gehört ein ausführliches Gespräch zur Auswahl des Medikaments, bei dem sehr persönliche Fragen gestellt werden. Dazu gehören das „Gute Besserung“ der freundlichen Apothekerin und andere Begegnungen auf dem Weg. Kurz: Wir haben es mit einem therapeutischen System zu tun. Ein entscheidender Teil dieses Systems ist die Beziehung zum Therapeuten, der sich ein Stück weit in unsere Person und unser Problem eindenkt. Dessen Erfahrung, Wissen und menschliche Präsenz können uns Angst nehmen, Hoffnung und Sicherheit vermitteln und uns damit insgesamt stärken. Viele Naturheilverfahren bieten in der Tat das, was die Forschung als die wirksamsten Elemente einer Psychotherapie ansieht: eine therapeutische Beziehung, Klärung von Konflikten und Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen.
  • Zu den unspezifischen Wirkungen gehören auch die so genannten ›Reizeffekte: Wo immer der Körper aus seiner Funktionsbalance (Homöostase) gebracht wird, leitet er zunächst einmal eine Stressantwort ein – das gilt für einen Aufenthalt in der Sauna genauso wie für einen kalten Wasserguss und die Akupunkturnadeln. Und diese Gegenreaktion kann, richtig dosiert, das Immunsystem ankurbeln – so ist z. B. bekannt, dass selbst die Injektion von physiologischer Kochsalzlösung messbare Veränderungen in der Zahl und Funktion der Immunzellen bewirkt.
  • Und zu guter Letzt darf nicht vergessen werden, dass viele Naturheilverfahren vom Patienten selbst bezahlt werden. Dies kann zum einen den „empfundenen Wert“ einer Therapie steigern. Zum anderen ermöglicht die im Vergleich zur „Kassenleistung“ weitaus bessere Vergütung eine zeitlich intensivere Zuwendung als das kurzatmige System der Fünf-Minuten-Medizin. Egal, ob dies als „erkaufte Zuwendung“ gesehen wird oder als ein dringend notwendiges Korrektiv der Schulmedizin: Die therapeutischen Begegnungen im Bereich der Alternativverfahren gehen oft tiefer.

Eine manchmal unterschätzte, unspezifische Wirkung ist auch das: Jede Therapie braucht Zeit – und diese Zeit wird auch von der Natur genutzt. Viele Krankheiten werden nun einmal von selbst besser – von Prellungen über Rückenschmerzen bis hin zu Erkältungskrankheiten.

Deshalb formulierte der Dichter Voltaire einmal eine Spitze gegen die damalige Schulmedizin, als deren edelste Aufgabe er es ansah, den Patienten abzulenken, damit die Zeit ihr Werk in Ruhe vollbringen kann.

Ein Beispiel: Als die zweite Flasche Hustensaft zu Ende war, war der Husten der kleinen Mareike noch kein bisschen besser. Anstatt zum Kinderarzt, bringt Frau W. ihr Kind diesmal zum Heilpraktiker. „Keine Frage“, sagt der nach einer gründlichen Untersuchung, „hier kann eine Konstitutionsbehandlung helfen. Ich schlage eine Darmsanierung vor.“ Die verordneten Tröpfchen werden eingenommen, nach zwei Wochen ist der Husten weg. Hat nun die „Darmsanierung“ geholfen oder wurde Frau W. lediglich im Sinne Voltaires „abgelenkt“?

Wirkung: unbestreitbar

Dass Naturheilverfahren wirken, ist unbestreitbar. Millionen von Patienten haben durch Naturheilverfahren Besserung erfahren. Und die Zufriedenheit mit Naturheilverfahren ist bei den Nutzern generell hoch – meist um einiges höher als in der Schulmedizin. Und was die Naturheilkunde auch für sich in Anspruch nehmen kann: Sie wirkt manchmal auch dort, wo die Schulmedizin nicht (mehr) helfen kann – so konnte die Akupunktur manchen Migränepatienten helfen, die in der Schulmedizin erfolglos behandelt wurden. Wenn Kritiker der Naturheilkunde also behaupten, die „sanften“ Verfahren seien ansprechend und sympathisch, wirkten aber nicht, so stimmt das ganz offensichtlich nicht.

Spezifisch oder unspezifisch?

Allerdings: Dass die Wirkung spezifisch ist, ist bisher nur für die wenigsten Naturheilverfahren belegt. Die Phytotherapie gehört zu den wenigen Methoden, die die spezifische Wirksamkeit einzelner Heilstoffe durch wissenschaftliche Studien belegen kann. Bei vielen anderen Verfahren verlief die Suche nach einer spezifischen Wirkung dagegen bisher eher enttäuschend: So ist das in Deutschland am häufigsten angewandte Naturheilverfahren, die Homöopathie, bisher nicht durch systematische Arzneimittelprüfungen im Sinn der evidenzbasierten Medizin untermauert, und auch die Akupunktur kann nicht uneingeschränkt als spezifisch wirksam gelten.

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Autor*innen

Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). | zuletzt geändert am um 11:37 Uhr